AMPLITUDE: Der Dōjō-Meister:in Guide – DM.1
Das Dōjō als Holding Environment.
Einführung: Die Architektur des Vertrauens
Bevor du ein einziges Werkzeug aus dem AMPLITUDE
-Koffer auspackst, musst du deine wichtigste Aufgabe als Dōjō-Meister:in verstehen: Du schaffst und hältst den Raum, in dem Lernen stattfinden kann.
Ein unsicherer, STORM
-dominierter Raum macht die besten Protokolle unbrauchbar. Ein sicherer, von Vertrauen geprägter Raum kann sogar aus einem fehlerhaften Protokoll eine tiefe Lernerfahrung machen. Deine erste und wichtigste Intervention ist daher nicht die Anwendung eines Werkzeugs, sondern die bewusste Etablierung eines psychologischen Sicherheitsvertrags – einer „Holding Environment“, die es sicher genug macht, den „zweiten, unbezahlten Job“ (das Verbergen von Schwächen und Managen von Eindrücken) aufzugeben. Vertrauen ist hier kein Gefühl, sondern eine technische Disziplin.
Die Grundprinzipien des Dōjō-Containers
Inspiriert von Community (Peter Block) und Psychological Safety (Amy Edmondson).
- Einladung statt Mandat: Echte Transformation ist freiwillig. Du lädst die Teilnehmer:innen ein, das Dōjō zu betreten. Wer nicht will, wird nicht gezwungen. Der Lernprozess basiert auf Anziehung, nicht auf Zwang.
- Gastgeber:in statt Expert:in: Du bist der:die Gastgeber:in, der:die den Raum vorbereitet und eine gute Konversation ermöglicht. Du stellst die Fragen, das System findet die Antworten. Deine Aufgabe ist es, die Bedingungen zu schaffen, unter denen Intelligenz und Initiative gedeihen können.
- Fehler als Datenstrom ehren: Im Dōjō geht es nicht darum, „gut“ auszusehen. Es geht darum, sicher genug zu sein, um die eigene Ahnungslosigkeit, die eigenen Immunities und Fehler zu offenbaren. Fehler sind hier keine Bugs, sie sind ein wertvoller, hochauflösender Datenstrom über die Physik des Systems.
- Erfahrung vor Theorie: Das Ziel ist verkörpertes Wissen (Fingerspitzengefühl). Jede theoretische Erklärung muss so schnell wie möglich in eine konkrete, somatische Übung oder ein reales Experiment münden. Der Körper lernt schneller als der Kopf.
Das operative Protokoll: Die vier Constraints des Dialogs
Um einen sicheren Container zu schaffen, etablierst du zu Beginn jeder Sitzung explizit die vier Praktiken des Dialogs (nach William Isaacs) als die fundamentalen Governing Constraints. Sie sind die expliziten Klauseln des psychologischen Sicherheitsvertrags.
- Voicing (Aussprechen): „Wir verpflichten uns, unsere authentische, innere Stimme zu Gehör zu bringen – auch wenn sie unfertig, unsicher oder unpopulär ist.“
- Listening (Zuhören): „Wir verpflichten uns, zuzuhören, um zu verstehen, nicht um zu antworten. Wir hören nicht nur die Worte, sondern auch auf die Frequenzen und Bedürfnisse hinter den Worten.“
- Respecting (Respektieren): „Wir anerkennen, dass die Wahrnehmung jeder Person eine valide Repräsentation ihrer Realität ist. Validierung ist nicht Zustimmung. Sie ist die Bestätigung, dass die Logik einer anderen Person in ihrem Bezugssystem kohärent ist.“
- Suspending (In der Schwebe halten): „Wir verpflichten uns, unsere eigenen Urteile, Annahmen und Reaktionen bewusst in der Schwebe zu halten. Wir schaffen einen Raum zwischen Reiz und Reaktion.“
Umgang mit STORM
-Frequenzen im Dōjō
Wenn im Lernraum selbst eine hohe STORM
-Frequenz (Konflikt, Frust, Angst) entsteht, ist das kein Scheitern. Es ist die Immunreaktion des Systems auf eine als bedrohlich empfundene Information. Es ist der Moment, in dem das tiefste Lernen möglich wird.
Notfall-Protokoll bei STORM
im Dōjō:
- Stop & Acknowledge: Halte den inhaltlichen Prozess an. Benenne die Frequenz: „Ich spüre gerade eine sehr hohe
STORM
-Energie im Raum. Nehmen das andere auch wahr?“ - Shift to GfK: Wechsle sofort in das GfK-Protokoll (siehe P.4). Gehe weg vom Inhalt der Debatte, hin zu den Gefühlen und unerfüllten Bedürfnissen, die die
STORM
-Energie erzeugen. - Nutze MI: Aktiviere die Haltung des Motivational Interviewing (P.4). Höre auf den „Sustain Talk“ („Das wird nie funktionieren!“) und den „Change Talk“ („Ich wünschte, wir würden uns endlich zuhören.“). Würdige den Widerstand als Schutzfunktion des Systems und verstärke sanft die Energie, die zur Lösung beitragen will.
- Re-Contracting: Sobald sich die
STORM
-Frequenz gelegt hat, frage das Team: „Welchen Constraint brauchen wir jetzt, um sicher weiterarbeiten zu können?“
Praxis-Imperativ dieser Woche
Deine Mission ist es, ein Meeting bewusst als Dōjō zu gestalten. Wähle ein reguläres Meeting in der kommenden Woche. Fang es damit an, indem du explizit einen der vier Constraints des Dialogs für die ersten 15 Minuten einführst, z. B.: „Für die nächsten 15 Minuten üben wir das radikale Zuhören. Niemand darf eine Aussage machen, ohne zuerst die Aussage des:der Vorredner:in in eigenen Worten zusammengefasst und dessen:deren Bestätigung erhalten zu haben.“ Beobachte, wie allein diese eine Regeländerung das Klangbild
des Meetings verändert.